SOLO
GRATIA

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GRATIA

SOLA GRATIA - DURCH DIE GNADE ALLEIN IST EIN GRUNDLEGENDES DOGMA DER REFORMATORISCHEN THEOLOGIE. HINTER DEM GRUNDSATZ DER LEHRE VON DER RECHTFERTIGUNG STECKT DIE IDEE, DASS DER MENSCH SEINE GEISTLICHE ERLÖSUNG NICHT DURCH SEINE TATEN, SEIEN SIE GUT ODER BÖSE, BEEINFLUSSEN KANN. DER EINZIG ENTSCHEIDENDE FAKTOR IST DIE GNADE, DIE GOTT DEM WAHREN GLÄUBIGEN ZUTEIL WIRD (DAS DOGMA DES 'SOLA FIDE'). AUF DER GRUNDLAGE DIESER LEHRE VERURTEILTE LUTHER STARK DEN HANDEL MIT DER GEISTLICHEN ERLÖSUNG IN FORM VON ABLÄSSEN.
In Bezug darauf hat Csilla Kudor ihr Werk Solo Gratia betitelt. In einem visuell beeindruckenden Panorama, das das frenetische Chaos des Jüngsten Gerichts darstellt, werden die geistlichen Würdenträger im Gebet und die herabstürzenden, schmerzgeplagten Körper der Sünder in deutlichem Kontrast zueinander gesetzt. Das eigentliche Zentrum des Bildes ist von einer schwarzen Leere erfüllt, unter der sich eine versammelte Armee von Kriegern aus verschiedenen Jahrhunderten zusammenballt. Der Erlöser ist nicht in Sicht. Wie bei einem biografischen Panelgemälde eines Heiligen umgibt ein Band von Bildern, die auf die sieben Todsünden verweisen, die religiöse Machtfülle: Stolz, Habsucht, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit. Die Motive der Todsünden wurden aus Gemälden, alten Fotografien und zeitgenössischen Zeitungsausschnitten entlehnt. Die Menschheit ist von Anfang an anfällig für diese schwersten aller Sünden: Für Kudor sind sie weiterhin hochaktuelle Geißeln der Gesellschaft, unabhängig von der Religion.
Um ihnen standzuhalten, bedarf es Standhaftigkeit, Mut und Ausdauer - Eigenschaften, die der Künstler in Martin Luther verkörpert sieht: „Die Suche nach Wahrheit, seine tiefgreifende Überzeugung, sein Mut und seine Ausdauer - das ist Luther. Sein ganzes Leben lang kämpfte er gegen seine eigenen Dämonen. Für uns heute ist es nicht anders. Meine „sieben Todsünden" stehen für eine auf den Kopf gestellte Welt. Gut und Böse, Licht und Dunkelheit sind eng miteinander verbunden. Vielleicht kann die Kunst einen kleinen Beitrag zur Erweiterung unseres Bewusstseins leisten. Fünfhundert Jahre Reformation - was hat sich verändert, wie haben WIR uns verändert? Das beschäftigt mich." In ihren Werken wirft Kudor, die zunächst in Budapest studierte und dann später bei Markus Lüpertz an der Kunstakademie Düsseldorf, einen Blick hinter die Fassaden - neugierig, kritisch, offen. Für sie ist Kunst keine Privatsache, sondern eine öffentliche Stellungnahme, mit der sie ihren Gedanken eine visuelle Ordnung verleiht. In ihrer Arbeit werden fotorealistische Malerei und eine Lentikulartechnik mit räumlichen Effekten gegenübergestellt. Jedes ihrer Bilder könnte der Ausgangspunkt für eine Erzählung, ein Bühnenbild, eine dramatische Szene sein. Kudors Beschäftigung mit Luther wird zu einem malerischen Welttheater.